Querbelichtet: Robert Mertens – Stehenbleiben! Knipsen! Weitergehen!

Robert Mertens schreibt für uns: „Alles wird immer schneller – unsere Computer, unsere Kameras und unser Leben sowieso. Seit vielen Jahren erleben wir schon diese stetige Zunahme der Geschwindigkeit. Auch die Art und Weise wie wir fotografieren, verändert sich kontinuierlich. Wir fotografieren schneller – viel schneller als noch vor 30 Jahren und sehr, sehr viel schneller als vor 100 Jahren. Allein ein Blick auf die zum Einsatz kommende Technik bestätigt diese Aussage. Denn zwischen einer alten Kamera mit Balgen und großformatigen Negativen, einer analogen Kleinbildkamera und unserer heutigen digitalen Fotografie liegen Welten. Vor ein paar Wochen konnte ich dazu eigene Beobachtungen anstellen. Ich war in Salzburg unterwegs und saß dort in einem Garten, um ein wenig die Ruhe zu geniessen. Dann kam eine Gruppe Touristen in den Garten: Die Kameras im Anschlag und ohne groß auf die Umgebung zu achten, wurde schnell von allem das Erstbeste fotografiert. Dabei blieben nur wenige überhaupt stehen – es wurde teilweise einfach aus dem Gehen heraus fotografiert und nach wenigen Minuten war bereits alles vorbei, die Gruppe war wieder verschwunden. Auf zum nächsten Highlight und immer von der Angst getrieben, man könnte in der kurzen Zeitspanne die einem bleibt, etwas verpassen. So langsam verstehe ich auch, wieso mittlerweile so viele Kameras und Objektive mit Bild-Stabilisatoren ausgestattet werden. Denn wenn keiner mehr die Zeit hat, beim Fotografieren wenigstens einmal kurz stehenzubleiben, wird genau eine solche Technik dringend benötigt. Eine Technik, die es ermöglicht ständig in Bewegung zu sein und dennoch einigermassen scharfe Fotos zu erstellen. Die Geschwindigkeit beim Fotografieren nimmt ständig zu. Und damit oft auch die Gleichheit der Bilder. Weil sich kaum noch jemand die Zeit nimmt, seinen eigenen, individuellen und persönlichen Blick mit Hilfe der Fotografie zu realisieren, fotografieren viele nur das allgemein Bekannte, das was eben alle machen – mit dem Ergebnis das später jeder Zweite nahezu die gleichen Ansichten und Motive auf der heimischen Festplatte archiviert. Und die wird immer größer. Nimmt doch neben der Geschwindigkeit beim Fotografieren gleichzeitig auch die Datenmenge ganz enorm zu. Aber um diese zu sichten, zu ordnen, zu archivieren und mit Stichwörtern zu versehen, benötigt man viel Zeit. Genau diese Zeit, die man vielleicht bei der Fotografie eingespart hat! Dabei kann es so bereichernd sein, einfach die Geschwindigkeit herunterzufahren und sich von der Sorge verabschieden, man könnte etwas verpassen, wenn man sich jetzt nicht sofort beeilt und zum nächsten Event hetzt. Ja klar – man wird etwas verpassen, sieht vielleicht in der vorhandenen Zeit nicht alles. Auf der anderen Seite erhält man etwas durchaus Positives für die fotografische Entschleunigung – und zwar die Möglichkeit einen eigenen Blick auf etwas Bekanntes zu erhalten, einen individuellen Moment zu geniessen und natürlich die ganz persönliche Erinnerung und Erfahrung. Robert Mertens auf der fotocommunity Einen neuen und ganz eigenen Blick auf etwas Bekanntes erhalten – z.B. wie hier durch die Wahl einer besonderen Perspektive. Also – einfach mal stehenbleiben.
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Den Moment und die Umgebung, einfach die ganz Stimmung versuchen zu erfühlen und in sich aufnehmen. Die Geräusche, Gerüche und Stimmen, das Licht und den Wind, die Wärme auf der Haut – alles trägt dazu bei ein ganz persönliches Gesamtbild der Situation zu erhalten. Erweitert wird das alles noch durch die eigene aktuelle Stimmung und durch die Gefühle und Gedanke, die einen gerade beschäftigen. Wie sehr sich ein Raum verändern kann, wenn man ihn mit aktivierten Sinnen achtsam durchschreitet – wie sehr sich ein Motiv verändert, wenn man sich Zeit lässt: es umkreist, aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und dem Motiv Zeit gibt zu wirken – das alles kann jedoch nur jeder für sich selbst entscheiden. Aber ein lohnenswerter Weg, hin zu einer bewussten Wahrnehmung und achtsamen Fotografie, ist es in jedem Fall. Ach ja – falls mich jetzt jemand nach meinen Fotos aus dem oben erwähnten Garten fragt: ich habe dort nichts fotografiert, sondern nur die Sonne, die Ruhe und die Stimmung genossen und dabei meinen inneren Speicher aufgefüllt. Und nun viel Spass mit der »entschleunigten« Fotografie und wie immer freue ich mich über viele Kommentare und Bilder unter diesem Beitrag.“
Roberte Mertens - querbelichtet inspiriert Robert Mertens befasst sich als Fotograf, Fotokünstler und Referent (u.a. für die Leica Akademie Masterclass) seit vielen Jahren intensiv mit Kreativität, Bildkonzepten und Kompositionen. Seine oft ins Abstrakte gehende Bildsprache ist geprägt durch Reduktion und Einfachheit mit intensiver Konzentration auf Aussage und Wirkung. An Büchern erschien bislang die zum „Deutschen Fotobuchpreis 2013“ nominierte „Kreative Fotopraxis“ – die 2014 um das Thema „Bildsprache/-gestaltung“ erweitert wird. Neben den Impulsen zum Querdenken, bewussten Sehen und kreativen Fotografieren werden seine Workshops immer wieder durch eine ganz spezielle Annäherung an die Bildbearbeitung ergänzt. Weitere Informationen unter http://www.robertmertens.com]]>

15 Comments:
16. Februar 2014

Treffend beobachtet. Ich würde es die Empfehlung zur Konzentration auf das Bild-aufnehmen nennen. Natürlich hilft die Technik, daß Aufnahmen gelingen (wie oben das Kirchenportal), die früher nicht oder fast nicht möglich waren. Ich zelebriere für mich die Entschleunigung, indem ich rückwärts gerichtet die d-slr mal stehen lasse, und die Kleinbildkamera gerne wieder benutze, besonders in Verbindung mit meinen manuellen Mittelformatobjektiven gelingen auch so interessante Aufnahmen, wenn auch mit mehr Vorbereitungszeit. Der Artikel ist mir „aus der Seele geschrieben“, habe ich sehr gerne gelesen! Gruß von der Ostsee, Andreas

2. November 2013

Schön geschrieben. Beruhigend.

20. Oktober 2013

danke für den Atikel!!!!!!!
habe den ganz langsam gelesen-:) toll
Grüße aus Rostock

19. Oktober 2013

wie wahr und weise.
ich versuche gerade etwas langsamer zu werden. obwohl ich seit einiger zeit nicht mehr im berufsleben stehe,eigentlich alle zeit der welt genießen könnte, ertappe ich mich noch oft dabei, wie ich in hektik verfalle. aber ich übe das durchatmen!
danke für den aufruf zur langsamkeit!
wie alles auf dieser welt, hat die sache mindestens aber 2 seiten.
seit ich meine fotos am pc. sehen und bearbeiten kann, freue ich mich über diese technik. wie mühsam war es doch, als die fotos zum entwickeln gebracht werden mussten! dann hatte man keinen einfluss auf die bearbeitung, war mit blau- oder gelbstichigen abzügen zufrieden. oder reklamierte sie.
wer konnte sich schon eine eigene dunkelkammer leisten, um in aller ruhe kreativ zu sein.
also, es liegt an uns zu entschleunigen. ihre worte helfen dahin zu kommen.
wenn man nicht querliest, wobei ich mich wieder ertappte, dann aber, nach durchatmen, den artikel langsam gelesen habe.

19. Oktober 2013

genau, eine klare bildsprache ist für mich ausschlaggebend

18. Oktober 2013

Guter Beitrag, dem ich fast vollumfänglich zustimmen kann.
Ich empfehle ja auch stets wenn ich Fotofreunde aus der fc treffe die „Alltagsentschleunigung“ zur Intensivierung der Bildergebnisse.
Die Mehrheit der Leute ist dazu aber nicht bereit oder in der Lage.
Das zeigt sich z.B. jetzt schon bei meinem derzeit noch im Voting befindlichen Bild [fc-foto:32055839].
Das wird nie und nimmer in die Galerie kommen – gerade WEGEN seiner Qualitäten – ein ganz lakonischer, entschleunigter Blick auf Leute die auf die nächste Straßenbahn warten.
Die Kommentare die dies offen kritisieren bemängeln „zu unbesonders“ oder im selben Tenor.
Erst durch praktizierte Entschleunigung lernt man aber im Alltag das Besondere zu entdecken.
Da nur wenige dies praktizieren fehlt den meisten dann auch leider der Blick dafür.
Von daher – ein Beitrag ganz in meinem Sinne.

18. Oktober 2013

Ich geh recht regelmäßig durch den eigenen Garten, ausgestattet mit Kamera und altem Macroobjektiv, welches nicht bereit ist, sich dem Autofokus der Kamera zu unterwerfen. So konnte ich den Genuss erfahren, im Langsamen und Gemächlichen die Fülle zu finden. Sagt nicht schon ein alter Weisheitsspruch:
Wenn du es eilig hast, geh langsam. Wohl wahr.

17. Oktober 2013

Die heutigen Fotoapparate sind ja auf „Schnelligkeit“ ausgelegt mit ihrer Automatik und den diversen Motivprogrammen .
Um sich mit den Zusammenhängen von Motiv,Blende ,Verschlußgeschwindigkeit und ISO zu beschäftigen muß man schon etwas ernsthafter in diese Materie einsteigen.Mit der Kenntnis dieser Zusammenhänge kommt man automatisch zum „Entschleunigen“.Man betrachtet das Motiv mit ganz anderen Augen.
Sicher erzeugt die heutige perfekte Technik superscharfe Fotos ,sogar mit Lächeln und Blinzel-Effekt ,nur das persönliche Foto das selbst gestaltete kommt dabei abhanden.
Aber was soll es ,es gibt ja Photoshop und das macht ja alles wieder schön !
Der Artikel war gut und richtig weil er doch zum Nachdenken anregt.
lg
ulfert k

16. Oktober 2013

Ich habe ursprünglich mit der Fotografie begonnen, um meinen Alltag zu entschleunigen. Leider ertappe ich mich auch hin und wieder bei oben beschriebenem Verhalten, besonders wenn ich in einer fremden Stadt unterwegs bin. Das ist sehr schade, weil ich hinterher meist das Gefühl habe, doch nicht wirklich etwas „gesehen“ zu haben. Daher danke für diesen Beitrag, denn er erinnert mich wieder daran etwas mehr auf die eigene Geschwindigkeit und die eigene Stimmung zu achten 🙂

Liebe Grüße
Heike

16. Oktober 2013

Oft gehe ich spontan auf Fototour, manchmal gar nicht weit – einfach zum Entschleunigen. Das hat teilweise schon etwas Meditatives und deshalb kann ich den Artikel nur dick unterstreichen!!
Die Bearbeitung ist dann der kreative Prozess und auch dazu gehört Ruhe und Geduld.
Das Buch “Kreative Fotopraxis“ habe ich mit Genuss verschlungen – finde es ganz hervorragend!
Ariane

16. Oktober 2013

Hallo Herr Mertens!

Sie haben recht!!! In unserer nur noch auf Tempo ausgelegten Gesellschaft tut Entschleunigung höchste Not. Gerade die Fotografie sollte einen Weg eröffnen, mal innezuhalten und den Moment (das Motiv und ich – sonst nichts) zu genießen.

Danke für den Beitrag
Michael

16. Oktober 2013

Da hast Du wohl recht, trotzdem denke ich ähnlich wie Axel und bin froh das es mir die Technik ermöglicht auch ganz schnell einmal einen momentanen Eindruck festzuhalten ohne lange Einstellung und Überlegung.
Gudrun

16. Oktober 2013

In vielem möchte ich dem Artikel zustimmen. Vieles heutzutage erscheint oder ist real viel hektischer und schneller geworden, dazu zählt sicherlich auch die Erstellung von Bildern. So manch Technik unterstützt dabei, daß trotzdem noch Bilder entstehen können, die, zumindest technisch gesehen, noch annehmbar sind.
Trotzdem möchte ich diese Technik nicht final verteufeln. Gar manch Aufnahme wurde erst durch sie möglich. Wer, so wie ich, Jagd auf wirklich schnell bewegte Objekte macht, ist froh über die Möglichkeiten schneller Bildfolgen, um die Chance auf die Ablichtung des richtigen Momentes, für dessen direktes Abpassen Auge und Reaktion definitiv zu langsam sind, wenigstens zu erhöhen. Werden zudem auch noch die uns zugedachten Photonenmengen des liebsten Zentralgestirnes durch widrige Wetter- und Umweltbedingungen mehr als gewünscht reduziert, freue ich mich, daß vielleicht der Stabilisator in der langen Optik mir ein wenig hilft, beim Mitziehen nur gewünsche Bewegungen auf dem Bild festhalten zu können. Sicher, dies kann auch „nach hinten losgehen“, aber ich mag die Unterstützung nicht mehr missen.
Die Photographie ist so vielfältig, nicht jede(r), der eine Kamera in die Hand nimmt, hat den Anspruch, große Kunst zu schaffen. Deshalb sind die Anderen aber keinesfalls zu belächeln, von oben herab zu verachten oder mit difamierenden Worten zu versehen. Nur, weil man nicht eine lange Zeit zuvor über die Bedingungen für jedes einzelne Bild nachgedacht, die Szenerie den eigenen Vorstellungen angepaßt oder auf den alles entscheidenden Moment gewartet hat, ist man nicht schlechter als diejenigen, die dies tun. Man ist nur eben anders, aber deshalb nicht unglücklicher oder unzufriedener mit seinen Ergebnissen.
Ich freue mich beispielsweise wie ein Schneekönig, wenn es mir gelungen ist, die Begegnung zweier höchst flink über den Himmel fegender Flugzeuge genau zu dem Zeitpunkt einzufangen, da die eine Maschine die andere verdeckt und zudem auch noch die vordere der beiden fokussiert ist. Dafür nehme ich auch gern in Kauf, 20 Aufnahmen der einen auf den Punkt der Begegnung zufliegenden Maschine hinterher zu löschen (oder vielleicht höchstens eine Schöne aus dem Anflug aufzuheben). Das eine Bild entschädigt mich dann für vieles – vielleicht die weite, manchmal auch beschwerliche Anreise zu dieser Veranstaltung, die Unbilden des Wetters vor oder manchmal auch während der Flugschau, die Unsicherheit, ob die Veranstaltung überhaupt stattfindet oder die avisierten Flugzeuge da sind und sich in ihr angestammtes Element erheben und vieles andere mehr. Auch wenn diverse Überlegungen im Voraus zu treffen und auch die Kamera auf die zu erwartenden Bedingungen konfiguriert werden muß, Mit der Ruhe ist es ab dem Beginn der Flugvorführungen vorbei. Zu schnell passieren sonst Dinge, die möglicherweise unwiderbringlich vorbei sind… Trotz der Hektik bin ich nach Abschluß eines solchen Tages glücklich und bei der Betrachtung der Bildausbeute zufrieden, wenn dieser oder jene schöne Schuß gelungen ist…
So, und nun dürfen alle auf mich einschlagen….

Axel

16. Oktober 2013

Danke – das war deutlich…und erhellend!

16. Oktober 2013

Da wird einem aus der Seele gesprochen!!

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